Arbeitsmarkt: Wenn gut schlecht bedeutet und schlecht gut ist
Seit Wochen beobachten Finanzmarktanalysten die Entwicklungen am Arbeitsmarkt mit Argusaugen. Die Arbeitslosenquoten sind teilweise historisch tief. Doch plötzlich sind gute Arbeitsmarktdaten zu einer Belastung für die Finanzmärkte geworden. Was ist geschehen? Wieso werden gute Zahlen plötzlich als schlecht betrachtet?
Grund sind die Zweitrundeneffekte: In einem Umfeld mit überhöhten Inflationswerten versuchen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vermehrt, über höhere Löhne eine Kompensation für den ansonsten drohenden realen Kaufkraftverlust durchzusetzen. Gelingt ihnen dies, so werden die Unternehmen versucht sein, die höheren Arbeitskosten über höhere Preise wieder an die Konsumenten weiterzugeben – über eine zweite, indirekte Runde wird also der Inflationsdruck weiter erhöht. Die Notenbanken sind gezwungen, restriktiv zu handeln und so die Wirtschaft einzubremsen – gute Zahlen werden zu einem schlechten Omen.
Zwei Anmerkungen dazu:
- Die Arbeitslosenquote als solche greift für eine Analyse über die Macht der Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich zu kurz, da sie stark durch weitere, auch strukturelle Faktoren getrieben ist. Ein relativierender Faktor kann beispielsweise der aktuell oftmals angeführte Fachkräftemangel darstellen.
- Die Aufweichung und Flexibilisierung von Anstellungsverhältnissen wie auch der grundsätzlich geringere Organisationsgrad auf Seiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führt zu einer Verschlechterung der Verhandlungsposition der Arbeitssuchenden, wodurch das Druckpotenzial auf die Löhne geringer ausfällt. Ein Szenario wie in den 70er-Jahren, bei dem aus Zweitrundeneffekten eine nachhaltig überhöhte Inflation resultierte, ist derzeit nicht zu erwarten.
Und überhaupt: Ein besserer Indikator für den Druck auf dem Arbeitsmarkt ist nicht die Arbeitslosigkeit an sich, sondern die Entwicklung der offenen Stellen – wie händeringend wird gesucht und gegebenenfalls entsprechend mehr bezahlt – und die Anzahl der freiwilligen Arbeitsplatzwechsel, da diese oftmals mit einem Lohnanstieg einhergehen und nur deswegen überhaupt erfolgen.
Beide Indikatoren zeigen für die USA ein gutes – weil sich verschlechterndes – Bild: Der Druck auf dem Arbeitsmarkt nimmt ab. Das Risiko von Zweitrundeneffekten bleibt somit überschaubar und der Druck auf die Notenbanken, weitere Zinsanhebungen vorzunehmen, wird abnehmen.